Selbstverständnis und Anspruch

Philosophisch-kritische Reflexion hat in ihrem Irritations- und Veränderungspotential persönlichen und gemeinschaftlichen Wert. Eine davon ausgehende freie und kreativ-experimentelle Reflexion besteht in dem Versuch und der Fähigkeit, die als Rahmenbedingungen gegebenen gesellschaftlichen, sozialen, politischen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Zusammenhänge durch gemeinsamen Dialog unter anderen, freien, nicht funktionalisierten bzw. funktionalisierenden Maßgaben zu betrachten. Kritische Reflexion und Selbstreflexion im Austausch zwischen den Disziplinen und Kulturen, Generationen und Institutionen sind notwendige Voraussetzungen für verantwortungsbewusste Wertsetzung und damit für einen achtsamen Umgang in und mit den Bedingungen und Situationen, in denen Menschen täglich stehen. Da sie fortlaufende Neu- und Umorientierung ermöglichen, tragen sie dazu bei, die unbedachte Reproduktion vorhandener Strukturen zu verhindern und unsere vielfältigen Beziehungen und Verhältnisse aktiv zu gestalten.

Geschichte

Der IiAphR ist aus dem in studentischer Eigeninitiative entstandenen „interdisziplinären Arbeitskreis für philosophische Reflexion“ (iAphR) hervorgegangen. Die Arbeit dieses Ursprungskreises, der von 1999 bis 2006 durch das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI) und seither auch von zahlreichen anderen Institutionen gefördert wurde und wird, entwickelte sich rasch zu einer internationalen. So war Václav Havel von 2004-2011 der Schirmherr des Kreises, den Frauke A. Kurbacher-Schönborn (Berlin), habilitierte Philosophin, 1996 gründete und in verschiedenen Konstellationen (u.a. mit Karin Wendt und Christian Suhm) bis heute leitet. In dem IiAphR arbeiten vor allem Nachwuchs-WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen zusammen und er steht allen offen, die sich selbstreflexiv an gemeinsamem Austausch über den Stand von Kultur und Gesellschaft beteiligen wollen. Die Förderung des akademischen Nachwuchses und die Stärkung der Geisteswissenschaften in Europa unter besonderer Berücksichtigung der Philosophie sind seine erklärten Ziele. Seit 2011 feiern wir den Welttag der Philosophie. In demselben Jahr startete eine Kooperation mit dem Collège international de philosophie in Paris (Ciph) und 2015 begann in Zusammenarbeit mit dem Ciph eine bis jetzt andauernde Reihe zu dem Thema „Kosmopolitismus und Kosmopolitik“. An die vergangenen Forschungsreihen „Schwellen von Reflexion und Praxis. Zu den Bedingungen kritischer Aneignung“ 1999-2002, „Gebildet. Europa als Bildungsprozess“ 2003-2008 und “Erfahrungen der Asymmetrie. Orientierung in der Kritik” 2009-2015, schließt sich das aktuelle Projekt „Autonomie und Referenz. Zwischen Anspruch und Bedingtheit“ für 2016-2018 an.

Gerade in Zeiten sich stetig und weltweit verändernder gesellschaftlicher Formationen bedarf es daher unhierarchisch organisierter Freiräume, in denen vor aller ökonomischen Verwertbarkeit diese offene und ‚zweckfreie‘ Reflexion stattfinden kann. Sie leistet ein Doppeltes: Standpunktanalyse und –kritik sowie Standpunktvergewisserung und –öffnung. Indem Klarheit über die je eigene Einstellung und Ausrichtung gewonnen wird, eröffnet sich die Fähigkeit zur Auseinandersetzung und Vermittlung zwischen den verschiedenen Positionen. Um dieselbe geht es unter anderem im Sinne einer gegenseitigen Bildung und Ausbildung, die wohl an Qualität, aber nicht an einem bloßen Effizienzgedanken orientiert ist und gleichwohl in eine Praxis zu münden vermag. Dieser Dialog kann gar nicht anders als weltoffen (kosmopolitisch) geführt werden.

Gerade in Verbindung mit künstlerischem Vorgehen kann philosophisches Arbeiten einen Reflexionsraum für die dringlichen und globalen Probleme unserer Zeit insofern darstellen, als es strukturell fähig ist, eine Vielfalt inter- und transdisziplinärer Reflexion zu vermitteln. Angesichts einer zunehmenden Marginalisierung und Ökonomisierung in den Geisteswissenschaften bedarf es ihrer ideellen wie materialen Stärkung.

Umsetzung

Der IiAphR versteht sich als unabhängig zwischen Institutionen. Eine Hauptaktivität und Aufgabe zur Umsetzung seiner Ziele besteht in der Ausrichtung von zwei öffentlichen Veranstaltungen jährlich, die zusammen mit der akademischen, wissenschaftlichen Forschungs-, Tagungs-, Vortrags- und Diskussionspraxis auch künstlerische Formen des Austausches und der Auseinandersetzung suchen und versuchen. Diese Veranstaltungen, zu denen Forschende, Freischaffende und institutionell Tätige in Wissenschaft, Kunst, Religion, Politik und Wirtschaft eingeladen sind, finden im Rahmen mehrjähriger Forschungsreihen statt, die auch Publikationen vorsehen.

Kooperationen (Auswahl)

Akademie der Wissenschaften Prag, Freie Universität Berlin, Forum Artium Georgsmarienhütte, Franz Hitze-Haus Münster, Institut für Deutsche Philologie II der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster, Hamburger Institut für Sozialforschung, Humboldt Universität zu Berlin, Klassik Stiftung Weimar, Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI), Maison Heinrich Heine in Paris, Philosophisches Institut der Universität Leipzig, Museum für Angewandte Kunst Frankfurt/Main, Philosophisches Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Philosophisches Seminar der Bergischen Universität Wuppertal, Ernst Reuter-Gesellschaft Berlin, Katholische Akademie Sankt Jacobus Haus Goslar, Fazit – Stiftung, Centre Marc Bloch Berlin, Collège international de Philosophie (Ciph) in Paris, Technische Universität Berlin, Leonardo Campus der WWU Münster, Literaturhaus Berlin, Kino Babylon Berlin, Kino Arsenal in Berlin, Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, Botschaft der tschechischen Republik in Berlin, französische Botschaft in Berlin, Deutsch-tschechischer Zukunftsfonds, Volkswagen, Landhaus Rothenberge der WWU Münster, Kunstakademie Münster, Exzellenzcluster „Languages of Emotion“ der FU Berlin, Dahlem School of Education

Publikationen des IiAphR (bzw. aus den IiAphR-Veranstaltungen hervorgegangene Publikationen):

Weltbegebenheiten. Hrsg. v. Frauke Kurbacher und Andreas Martin (Hg.), in: Tà katoptrizómena. Magazin für Ästhetik, Religion und Kultur, Heft 127 (Oktober 2020). https://www.theomag.de/127/index.htm

Der Andere – ein alltäglicher Begriff in philosophischer Perspektive. Hrsg. v. Ulrike Hagel, Frauke A. Kurbacher, Karin Wendt und Christian Suhm. Leipzig 2002 (Leipziger Universitätsverlag).

Diskurse des Extremen. Über Extremismus und Radikalität in Theorie, Literatur und Medien. Hrsg. v. Leonhard Fuest und Jörg Löffler. Würzburg 2005 (Königshausen & Neumann).

Aufklärungen durch Erinnerung – Selbstvergewisserung und Kritik. Hrsg. v. Frauke A. Kurbacher, Karel Novotný und Karin Wendt. Würzburg 2007 (Königshausen & Neumann).

Die ‚Bildung‘ des Kanon – Textuelle Faktoren – Kulturelle Funktionen – Ethische Praxis. Hrsg. v. Lothar Ehrlich u.a. Köln/Weimar/Wien 2007 (Böhlau).

Revista hrsg. v. Eduardo da Brito Losso, 6. Heft der www.revista.doc, dreisprachige (dt., frz. u. bras.) Veröffentlichung der Beiträge der Paris-Tagung des IiAphR, Herbst 2008.

Topographien der Grenze. Verortungen einer kulturellen, politischen und ästhetischen Kategorie. Hrsg. v. Christoph Kleinschmidt und Christine Hewel. Würzburg 2011 (Königshausen & Neumann).

Inversion. Öffentlichkeit und Privatsphäre im Umbruch. Hrsg. v. Frauke A. Kurbacher, Agniezska Igiel und Felix von Boehm. Würzburg 2012 (Königshausen & Neumann).

Simultaneität. Modelle der Gleichzeitigkeit in den Wissenschaften und Künsten. Hrsg. v. Philipp Hubmann u. Till Julian Huss. Bielefeld 2013 (transcript).

Freiheit und Reflexion. Gast-Edition des IiAphR für die Flusser-Studies. Heft 16, Januar 2014.

Spannungsverhältnis Subjekt? Tagung des Internationalen interdisziplinären Arbeitskreises für philosophische Reflexion (IiAphR) 06. – 08. Juni 2013 an der Technischen Universität Berlin. Hrsg. v. Susann Köppl, Karen Koch u. Johanna Lang. Berlin 2014. (Universitätsverlag der TU Berlin).

Was ist Haltung? Begriffsbestimmungen, Positionen, Anschlüsse. Aufsatz-Sammelband. Hrsg. v. Frauke A. Kurbacher und Philipp Wüschner. Würzburg 2016 (Königshausen&Neumann).


Beirat:

  • Crische Hewel
  • Christoph Kleinschmidt
  • Karin Wendt

Referenten und Gäste des IiAphR (Auswahl):

  • Susanne von Bülow
  • Barbara Eitel
  • Rainer Guldin
  • Wolfgang Heuer
  • Heinrich Hüni
  • Michael Klier
  • Ruppe Koselleck
  • Wolfgang Kraushaar
  • Christoph Menke
  • Käte Meyer-Drawe
  • Soraya Nour-Sckell
  • Jan Philipp Reemtsma
  • László Tengelyi